Das GUSTAV-ADOLF-HAUS

und die Dörfer  Hartmannsdorf,  Görnitz und Alt-Deutzen

 

 

Unsere Landschaft,   hier  im Südraum von Leipzig, erscheint   wenig reizvoll.  

Aber  der erste  Blick täuscht.  Die Landschaft  kann nichts für  ihr  vernarbtes  Gesicht. Denn hier, in unmittelbarer   Nähe zwischen den Orten  Deutzen und Borna, ist aus einem Tagebaurestloch  ein schönes Fleckchen Natur  entstanden,  der  Volksmund spricht  von der „Adria",  wo sich in den Sommermonaten die Surfer und Badelustigen tummeln.

Und doch: Wer weiß, dass dort  vor etwa 35 Jahren reizvolle  Dörfer  existierten   und wer

dort  gelebt und dann umgesiedelt wurde, der sieht dieses Stück Landschaft  mit anderen Augen, verbunden mit  Wehmut  und Trauer.  Erinnerungen werden wach, denn dort  war die Heimat - GEOPFERTFÜR DIE BRAUNKOHLE!

 

 

Das   Gebiet    unserer    Heimat   war   vor   ungefähr    1.000   Jahren    von   slawischen Volksstämmen bewohnt. Riesige Wälder  bedeckten weithin  die Landschaft. Zur Jahrhundertwende  bestand die gesamte Gegend aus herrlichen  Auenlandschaften.

 

 

Die Entwicklung des Braunkohlebergbaus im Bereich  Borna brachte  mit  sich, dass die Gemeinden   Hartmannsdorf,     Görnitz    und   Alt-Deutzen,     einschließlich    der    dazu gehörenden Fluren überbaggert  wurden. Diese drei  Orte  waren ausgesprochene Landgemeinden.

Der  1910 beginnende Kohleabbau und die Errichtung  von Brikettfabriken  um  Deutzen

veränderte  die Landschaft  grundlegend. Deutzen wandelte sich zu einem Industrieort. Der gesamte jetzige   Ort,   bis auf  einige Ausnahmen, steht  auf  ausgekohlten Gelände. Aus den Schloten  und hohen Schornsteinen  stiegen hässliche Dampf- und Rauchwolken empor; die Pleiße wurde umgebettet;   Bagger fraßen sich in die Erde und ihr Quietschen war bis weit  hin zu hören und machte den Menschen Angst  - je  lauter  die Bagger zu hören waren, je  näher rückte  die Drohung Heimat, Tradition,  Hab und Gut zu verlieren - denn 1962 wurde die Gemeinde Hartmannsdorf,  1964 Görnitz  und der ursprüngliche Ort Alt-Deutzen   von der  Überbaggerung  erfasst.   Ihre   Bewohner wurden  in  Deutzen  in Ersatzbauten,  sprich  Neubauwohnungen, oder in  andere Orte  der  Umgebung wie Borna, Regis-Breitingen  und Altenburg  umgesiedelt. Für viele ein schwerer  Schritt!   Und es war nicht einfach dort  Fuß zu fassen. Abbrucharbeiten  Umzug, Friedhofsverlegung  bzw.-umbettungen usw. tarten  vorher  ihr übriges.

Ein überbaggerter    Ort   ist  ein  unwiederbringlicher   Verlust.   Andererseits   hatte   die Braunkohle aber auch vielen Menschen jahrzehntelang  Arbeit  und Existenz gesichert.

 

 

Der alte  Ort  Deutzen begann dort,  wo heute der  Damm  der „Adria"  der  August-Bebel- Straße ein jähes  Ende setzt.  Dort  gabelte sich die Straße, ging nach rechts  in Richtung Görnitz,  nach links in Richtung Gasthof  und Volksplatz, vorbei am Friseurgeschäft   und dem Gemischtwaren-  und ebensmittelgeschäft.   

Der  Volksplatz,  er  war der  kulturelle Mittelpunkt    der  Gemeinde.

Dort  wurden  viele  Volksfeste   durchgeführt    und mancher Liter   Bier  in  dem  mehrere   100 Menschen fassenden  Festzelt   geleert.   Im  Gasthof Deutzen, gegenüber der alten Feuerwehr, befanden sich neben der Gaststube ein großer Saal, mehrere  kleine Säle, Vereins- und Fremdenzimmer, und in dem schattigen  Garten ein  Schießstand.  

Desweiteren  verfügte   Alt-Deutzen   über  eine  Post,  Textilgeschäft, Bäckerei und Fleischerei.  Auf  der  alten  Straße nach Regis ging es vorbei  an schönen Bauerngütern, einer Sattlerei  mit Fahrradgeschäft,  einem Milchwaren- und Fleischereigeschäft,   der  Tauflinde,  hinaus in die  Felder.  Im  Ortskern   stand  die alte Mühle. Ein Stück weiter  das Gebäude der Volksschule, auch große Schule genannt. Kurz vor  Ortsausgang  in  Richtung  Görnitz  führte   eine  Nebenstraße  am Pfarrgarten   und Pfarrhaus  vorbei  zur  Kirche  in Spätbarockform.   Ihr   gegenüber stand  auf  Pfählen, in einem großen Teich  und von drei  Seiten  mit  Wasser umgeben, das Schloß Deutzen, es war ehemaliges Rittergut,  später  war es ein Infektionskrankenhaus.   Das ganze war von herrlichen  Parkanlagen umgeben.

Mit  der Kirche zusammen bot sich hier ein wunderschönes harmonisches Bild.  Hinter  der Kirche befand sich die alte Schule. Sie wurde als Kindergarten genutzt.

 

Di beiden   Dörfer   Görnitz  und Hartmannsdorf  waren einst  selbstständige  Gemeinden.

1948 erfolgte   die Eingliederung von Hartmannsdorf  nach Görnitz.

Der  kleine Ort  Görnitz  lag reizvoll  auf  der  Höhe, innerhalb  des flachen  Geländes und zeigte  mit  der  Kirche  und den weiteren  Gebäuden eine  schöne dörfliche   Anlage. Die Kirche wies deutlich  auf eine spätromanische Anlage hin und wurde mehrmals umgebaut. Kirche, Pfarrhaus  und Pfarrnebengebäude  lagen auf der höchsten Stelle  des Ortes  und waren schon von weither  sichtbar.

Hier  unterrichtete  und predigte  von 1807 bis 1816 der  bekannte Pfarrer,   Lehrer  und

Pädagoge Gustav-Friedrich     Dinter.    Der   Ort    konnte   schöne  alte   Gutshöfe   und Fachwerkhäuser  vorweisen,  die  sich  oberhalb  des  Dorf es aneinanderreihten.   Schule, Gemeindeamt, Post und Lebensmittelgeschäft   waren ebenfalls  in Görnitz  ansässig. Der Gasthof  bot Platz für  Tanzveranstaltungen, Osterball,  Kirmes. Gesangs- und Kaninchen- und Sportverein.  Nach 1945 wurde er auch für  Filmvorführungen  genutzt.   Dies war nur ein kurzer  Streifzug   durch Görnitz. Es gäbe noch viel zu erzählen.

 

Die schlimmste Leidenszeit  aber hatten  unsere Dörfer  im Dreißigjährigen  Krieg durchzumachen. Im  Gefolge  der  Kriegshandlungen hielt  der  schwarze  Tod, die  Pest, seinen  Einzug. Ebenso brachte  der erste  und der zweite Weltkrieg  unsagbares Leid.

Auch  Natur-    und  Brandkatastrophen   suchten   unsere  Dörfer  heim.    

Die  sonst  so friedliche   Pleiße  konnte sich in der Zeit  der Schneeschmelze und starken  Regenfällen in einen reißenden Strom  verwandeln. Fast in jedem Jahr  wurden die Pleißewiesen und die Felder  der  Bauern überschwemmt Große Brände hat  es oft   gegeben. Nur  durch  die gegenseitige Hilfe  von Dorf  zu Dorf  konnten die Bauern wieder zu einem normalen Leben kommen.  Auch im  Winter  hörten  die Sorgen nicht auf. Kälte und hoher Schnee machten das Leben schwer.

 

Durch   die   Überbaggerung   wurden   natürlich    auch   die   beiden   Kirchen    mit   den dazugehörigen Pfarrhäusern  abgerissen.  Das bedeutete  nicht  nur für  uns Christen einen unersätzlichen  historischen  Verlust.

Am  Reformationstag   1965  wurde  in  der  Deutzener  Kirche  der  letzte   Gottesdienst gefeiert.   

Eine große Gemeinde füllte   die  Kirche.  Danach wurde  der  Altar  abgedeckt, Pfarrer     der  Euphorie sowie der  Kirchenvorstand  übernahmen Altar-,   Abendmahl- und Taufgeräte.               Unter  dem Geläut   der  Glocke, die  letztmalig  erklang,  formierte  sich  ein langer Zug, der durch den Ort  zur  Katholischen Kirche führte.  Da noch kein Ersatzbau für  die verlorengegangenen Kirchen vorhanden war, hat die Kath. Kirche vorübergehend Gastrecht  gewährt.  Die Orgel,  Glocken, Kanzel und Gestühl wurden von Fachbetrieben und den Kirchen der  Umgebung zugeführt.   Dem Pfarrer   mit  seiner  Familie wurde eine zweieinhalb-Zimmer-Neubauwohnung zugewiesen und er musste dort  leben und arbeiten.

Vom  Gustav-Adolf-Werk    erhielt   unsere evangelische Kirchgemeinde, veranlasst  durch eine Spendenaktion, ein kleines barackenähnliches Gebäude - ohne Wasseranschluß - Typ Erntekindergarten,   was für  nur 2  Jahre  den Ersatz  für  eine neue Kirche bieten sollte. Dieses  Gebäude  wurde  für   die  Christenlehre,   Konfirmantenunterricht     und Veranstaltungen genutzt.  Gottesdienste  feierten  wir in  der Koth. Kirche.

Nach einiger Zeit  erhielten  wir die freudige  Nachricht,  dass wir eine kleine Fertigbau- Holzkirche  aus Schweden erhalten sollten.- HOFFNUNG! - ENDLICH EINDE  KIRCHE! -

Doch wir hatten  uns zu früh  gefreut.  Es war bitter.  Auf anfangs mysteriöse Weise fand die Kirche nicht  den Weg nach Deutzen. Später  wurde bekannt, dass der damalige Rat der gemeinde einen Riegel  vorgeschoben hatte,  u. a.  mit der Begründung:   Deutzen hätte schon  eine  neue  katholische.  Kirche,   das  reicht .... zwei   Kirchen  nebeneinander  in  einem sozialistisch   geprägten   Industriedorf,   das  passt  nicht   und  wäre  auch  unnötig .... die Christen würden doch sowieso immer weniger ... also abgelehnt! - Ein für  sie guter  Grund, um  Kirche und Glaube einzuschläfern.

 

 

Unser Gustav-Adolf-Haus,   welches damals nur 2  Jahre  als Übergang sein sollte,  steht nun schon über  30 Jahre.  - Es ist  der  Ersatz  für  zwei verloren  gegangene Kirchen und Pfarrhäuser   geblieben.  Es bietet   unserer  Gemeinde immer noch Platz  und Raum  für Gottesdienste   und Veranstaltungen.  -  Obwohl es unansehnlich und baufällig  geworden ist, hängt unser Herz an diesem Gebäude. Die der aktiven  Kirchgemeindeglieder hat sich mit den Jahren  erheblich  verringert.  Ständiger  Pfarrerwechsel  und Vakanzzeiten haben der Kirchgemeinde nicht gut getan!

 

 

Aber  wir  haben die Hoffnung  nicht  aufgegeben, dass wieder  mehr Menschen den Weg zur Kirche und zum Glauben finden werden.